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Zitate zur Person

Günther Berkhahn

11.07.1910 – 12.03.1982

Er war Ende der Sechziger(jahre) in unseren Gesichtskreis getreten: im Club Voltaire in der Webergasse, im POP-Club, auf Veranstaltungen der Wiesbadener Linken. Aus seinem Munde hörten wir zum ersten Mal ‘was von „asiatischer Produktionsweise“, von „orientalischer Despotie“, von „allgemeiner Staatssklaverei“: Einer aus dem linken, sozialistischen Lager kritisierte den „realen Sozialismus“ nicht etwa auf christlicher, kleinbürgerlicher oder neokonservativer, sondern auf marxistischer Grundlage. (…) Er war zu jugendlich, undiszipliniert, zu wenig kompromissbereit, um Koalitionen zu schmieden und auszuhalten. Oft zerschlug er – fast handgreiflich – angebotene Hilfen. Auf die APO, die Neue Linke setzte er große Hoffnungen. Ihre Kritiker des „realen Sozialismus“, in dem ja – wie Rudi Dutschke schrieb – alles real ist, nur nicht der Sozialismus, waren seine Genossen. Besonders die Zusammenarbeit mit Rudi Dutschke war für Günther erfüllend: Beide – „Vater und Sohn“ – erlebten in unterschiedlichen Epochen die Verlogenheit, die Verbrechen des sog. Sozialismus am eigenen Leib, beide gaben ihre Identität als Radikale, als Sozialisten nie auf (…). Welche Kämpfe, welch ein Leben, welche Einsamkeiten erlitt der Günther. Nicht nur zwischen allen Welten, nicht nur „zwischen Ost und West“, sondern auch in seinem kleinen Freundes- und Bekanntenkreis, innerhalb seiner Familie (…). Mit Günther Berkhahn verlor die sozialistische Weltbewegung (…) einen erfahrenen und liebenswerten Mitstreiter. (aus Wollis, d. h. Wolfgang Herbers Nachruf im „Regionalblatt“)

Wer radikal denken will, muss über die sprachliche Wurzel (radix – Wurzel) hinaus historisch und gesellschaftskritisch denken wie Marx. Nur wer zurückschauend Bestehendes, d. h. Gewordenes gesellschaftskritisch durchdenkt, kann Bestehendes verbessern. Bedauerlicherweise kennt der so genannte linke „Radikalismus“ ebenso wenig die Menschheitsgeschichte wie die „radikale Rechte“. (aus Berkhahns 1970 in der Nr. 3 des POP-Club-Organs „das schwarze Brett“ veröffentlichtem Beitrag „Vom Unsinn des Linksradikalismus“)

Nach dieser Veranstaltung in Wiesbaden (Anfang 1977) kamen wir in einen intensiveren Kontakt. Günther Berkhahn (…) erwies sich für mich als eine Persönlichkeit, die ihre Lebensgeschichte aufgearbeitet und nicht verdrängt hatte. (…) Wie wichtig es ist, die eigene Geschichte nie zu verdrängen, sondern immer wieder zu rekonstruieren, ist mir erst durch ihn ganz bewusst geworden. (aus dem Kapitel „Ein ehemaliger Spanienkämpfer hilft mir“ in Rudi Dutschkes posthum unter dem Titel „Aufrecht gehen“ von Ulf Wolter herausgegebener „fragmentarischen Autobiographie")

Auch einige Wiesbadener haben im Spanischen Bürgerkrieg in den Internationalen Brigaden für die demokratische Republik gegen den mit deutscher und italienischer Unterstützung durchgeführten Putsch der Franco-Faschisten gekämpft. Einer von ihnen war Günther Berkhahn, der – von seinen ehemaligen Genossen als „Renegat“ diffamiert und von der BRD ohne finanzielle Entschädigung gelassen – wieder hier lebte. 1978, ich recherchierte gerade im Auftrag der hessischen Landeshauptstadt für die Dokumentation von Widerstand und Verfolgung während der NS-Diktatur, zeigte mir Berkhahn in seiner winzigen Wohnung in der Luisenstraße 5 erst skeptisch, dann diskussionsfreudig seine antifaschistischen Karikaturen aus linken Blättern der 1930er-Jahre, so z. B. aus dem „Roten Pfeffer“, und auch Frontberichterstattung aus Spanien. Schließlich hielt es den korpulenten, meist Zigarre rauchenden Mann nicht mehr auf der Matratze in seinem kleinen Zimmer, das damals noch nicht nur in den Regalen voller Bücher war. „Diese Moskowiter, die mit dem sowjetischen Geheimdienst die Kameraden an der Front in Spanien terrorisierten …“, schoss es aus ihm urplötzlich heraus. Auf dieser Matratze hatte er seit 1977 oft stundenlang mit Rudi Dutschke über das Versagen des Sowjetkommunismus diskutiert. Der einstige Spanienkämpfer war in Wiesbaden bei einer Veranstaltung mit Dutschke ständig durch Zwischenrufe wie „asiatische Produktionsweise“ und „orientalische Despotie“ aufgefallen. Damit bezog er sich, was wir da noch nicht wussten, auf die Analysen des von ihm über alles bewunderten marxistischen, späterhin strikt antikommunistischen Theoretikers Karl August Wittfogel. Kurz darauf, bei Berkhahn zu Hause, erkannten Dutschke und er sich als Kampfgenossen für einen revolutionären sozialistischen Humanismus und wurden Freunde. Schmunzelnd zeigte mir Günther einmal die Turnschuhe Rudis, die dieser bei ihm vergessen hatte. Rudi Dutschke hat viele relevante Erkenntnisse aus Berkhahns Hinweisen bezogen. Als dieser 1982 starb, waren nur noch wenige Bücher in seinem Besitz verblieben. Seine vormals so umfangreiche Bibliothek vor allem zur Geschichte der Arbeiterbewegung hatte er am Ende Exemplar für Exemplar aus purer Geldnot verkaufen müssen. (Lothar Bembenek)

Es geht um demokratische Rechte wie um die Verknotung von demokratischen und sozialistischen Forderungen: keine Demokratie ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Demokratie. (Diktum Berkhahns laut Dr. Rudi Dutschke, 1977)