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LangBiografie

Eugen Dengel

07.11.1881 – 07.02.1950

Der im unterfränkischen Neubrunn geborene, Anfang des 20. Jahrhunderts nach Wiesbaden zugezogene Bäcker war hier 1906 von einer Vorläuferorganisation des späteren Verbandes der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter (VNG) angestellt worden und ist zudem der SPD beigetreten. In deren Ortsvereinsvorstand engagierte er sich alsbald ebenso wie schließlich auch im Vorstand des 1919 gegründeten Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), desgleichen in dem der Ortskrankenkasse und dazu noch in einigen Aufsichtsräten, darunter der des Konsumvereins.

Nach Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg hatte er seine gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeiten sogleich wieder aufgenommen und ist 1919 zum Stadtverordneten gewählt worden. Die Jahre der ersten deutschen Republik waren geprägt von einer Vielzahl massiver wirtschaftlicher, sozialer und politischer Probleme. Hierzu gehörten insbesondere die horrenden Reparationslasten und sonstigen Kriegsfolgekosten, die separatistischen Putschversuche von 1919 und 1923, die Hyperinflation bis Ende 1923 sowie die Weltwirtschaftskrise seit 1929, alles einhergehend mit einer überaus schwierigen Ernährungslage, exorbitant hoher Arbeitslosigkeit, großer Wohnungsnot und entsprechend vielen Wohlfahrtsunterstützungsbeziehern. Dazu kam dann noch der dramatisch rasche Aufstieg der NSDAP. Hatte diese Partei im Januar 1927 bei der Stadtverordnetenwahl lediglich anderthalb Prozent der Stimmen auf ihre „Völkische Liste“ zu vereinigen vermocht, so bescherte ihr beispielsweise die Reichstagswahl 1930 in Wiesbaden schon über 27 Prozent, und bei der Reichstags- wie auch der Stadtverordnetenwahl im März 1933 konnte sie zuletzt sogar fast 50 Prozent erzielen.

1928 ist Dengel zum Stadtverordnetenvorsteher gewählt worden. Mit welchen Schwierigkeiten er in jenem wichtigen Amt fortan konfrontiert war, hatte sich bereits kurz darauf gezeigt, als die KPD einen Misstrauensantrag gegen ihn stellte. Er hatte nämlich deren Parteigenossen Hans Quarch von einer Sitzung ausgeschlossen, weil der den Stadtverordneten Ferdinand Grün von der Zentrumsfraktion als „gemeinen Verbrecher und Lump“ diffamiert hatte. Der Antrag der Kommunisten ist dann aber von der seinerzeit noch republiktreuen Mehrheit im Kommunalparlament abgeschmettert worden.

Heftige Auseinandersetzungen mit NSDAP und KPD wie auch deren sonstige unentwegten Störmanöver sind jedenfalls in den nächsten Jahren an der Tagesordnung gewesen und hatten den demokratischen Parteien das Agieren außerordentlich erschwert. Oft genug waren jene beiden, erklärtermaßen demokratiefeindlichen Parteien sogar gemeinsam gegen Anträge der anderen Parteien vorgegangen. Ungeachtet dessen sind die Plenarsitzungen von Dengel stets souverän geleitet worden, was ihm große Anerkennung der demokratischen Kräfte beschert hat.

"Wiesbadener Tagblatt", 5. Mai 1933Die letzte Sitzung der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung unter seiner Leitung hat am 20. Januar 1933 stattgefunden, zehn Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg. Nachdem die NSDAP bei der Stadtverordnetenwahl vom 12. März beinahe die absolute Mehrheit errungen hatte, wurde in der ersten Sitzung wenige Tage danach eines ihrer Parteimitglieder zum Vorsteher gewählt. Bald darauf ist die Ernennung Hitlers zum „Ehrenbürger“ dieser Stadt sowie die Benennung des Schlossplatzes nach dem neuen Reichskanzler beschlossen worden. Am 2. Mai 1933 wurde – wie allerorten in Deutschland – auch das hiesige Gewerkschaftshaus von einer Horde fanatisierter NS-Anhänger besetzt, durchsucht und demoliert, wobei sämtliches Schriftmaterial und alle dort befindlichen Bücher auf die Straße geworfen und hier in Brand gesetzt wurden. Auch sind damals der VNG-Funktionär Eugen Dengel, sein Parteigenosse und Gewerkschaftskollege vom Arbeitersekretariat des ADGB Konrad Arndt und zwei weitere Gewerkschaftssekretäre vorübergehend festgenommen worden.

Seit dem 24. Juni war Dengel arbeitslos. Aufgrund der „Verordnung zur Sicherung der Staatsführung“ wurde er dann zusammen mit Georg Buch, Konrad Arndt und sechs weiteren SPD-Stadtverordneten am 9. Juli 1933 aus dem Kommunalparlament ausgeschlossen. Erst drei Jahre später fand er eine neue Beschäftigung als Versicherungsmitarbeiter. Obwohl er während der ganzen Zeit sicherlich ständig polizeilich überwacht wurde, gelang es ihm dennoch, heimlich in Verbindung zu bleiben mit dem noch am 23. Mai 1933 zum neuen Vorsitzenden der Wiesbadener SPD gewählten Georg Buch, der seither den Kontakt mit etlichen standhaft gebliebenen SPD-Parteimitgliedern illegal aufrechterhielt. Ebenso hatte Dengel informellen Umgang mit dem linksliberalen Aktivisten Heinrich Roos und seinem gleichfalls oppositionellen Freundeskreis. Solche Gruppierungen sorgten in den Jahren der vollständigen Unterdrückung jedweder nichtnazistischen Regung für die Bewahrung einer Grundsubstanz freiheitlichen Denkens, wodurch dereinst die von ihnen ersehnte Wiedererrichtung einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland würde baldigst ermöglicht werden können.

Manche der in solche lockeren Zusammenschlüsse Involvierten standen sogar in Verbindung mit einigen konspirativen Kontaktpersonen der Freiheitsbewegung vom 20. Juli 1944, was sich Eugen Dengel freilich nicht nachweisen ließ. Trotzdem wurde er im Zuge der nachfolgenden reichsweiten Festnahmeaktion „Gewitter“ am 22. August 1944 verhaftet und am 16. September ins KZ Dachau verbracht. Durch die dortigen Haftbedingungen hat er sich mehrere gravierende Gebrechen zugezogen, die er erst nach seiner Befreiung durch die US-Army Anfang Mai 1945 kurieren lassen konnte.

Nach seiner Rückkehr nach Wiesbaden am 7. Juni 1945 engagierte sich Dengel für kurze Zeit im basisdemokratisch gebildeten Aufbau-Ausschuss, einer überparteilichen, stark im Freundeskreis um Heinrich Roos wurzelnden „Vertretung der antinationalsozialistischen Kräfte“ der Stadt. Im Monat darauf wurde er vom durch die Amerikaner vorerst in sein einstiges Amt wieder eingesetzten Oberbürgermeister Georg Krücke zum besoldeten Stadtrat ernannt, zuständig für Wohnungsamt, Ernährungsamt sowie den Schlachthof. Vereidigung von Eduard Dengel als Stadtrat durch Oberbürgermeister Dr. Redlhammer Nach der 1946 durchgeführten ersten wieder freien Stadtverordnetenwahl, bei der die anderen Parteien an der von den Amerikanern verfügten 15-Prozent-Klausel gescheitert waren, wurde eine Koalition aus CDU und SPD gebildet. Daraufhin ist der Christdemokrat Hans Heinrich Redlhammer zum neuen Oberbürgermeister gewählt worden, während Dengel als Stadtrat weiterhin für die Bekämpfung der unvorstellbar großen Wohnungsnot zuständig blieb und das gleichermaßen existenziell wichtige Dezernat für Ernährung und Wirtschaft Georg Buch übertragen wurde. Auch sonst wurden damals ausnahmslos Politiker in den Magistrat berufen, die – was von Letzterem zeitlebens betont worden ist – entweder vordem Widerstand gegen das NS-Verbrecherregime geleistet hatten oder aber an deren antinazistischer Gesinnung zumindest kein Zweifel bestand.

Nachruf der Stadt WiesbadenNach seinem Ausscheiden aus dem Dienst Mitte 1948 blieb Eugen Dengel gleichwohl politisch aktiv, vor allem dies als Vorstandsmitglied seiner Partei. Besonders erhoffte er sich als Konsequenz aus dem Scheitern der Weimarer Republik die Einführung systematischer politischer Bildungsarbeit in allen gesellschaftlichen Bereichen, was allein, so keineswegs nur seine Überzeugung, die neue Demokratie würde auf Dauer stabilisieren können. Folgerichtig setzte er sich genauso für die Schaffung einer Parteischule der SPD ein. Außerdem verfolgte er, sofern es seine Krankheiten zuließen, auch jetzt noch mit großem Interesse die Plenarsitzungen im Rathaus und die im Hessischen Landtag.

Im Wiesbadener Stadtteil Klarenthal ist eine Straße nach dem leidenschaftlichen Demokraten benannt.

Rolf Faber

Herkunft der Bildquellen

Eugen Dengel

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Stadtarchiv Wiesbaden, Wi/P Nr. 396

Stadtarchiv Wiesbaden, Wi/P Nr. 396

"Wiesbadener Tagblatt", 5. Mai 1933

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"Wiesbadener Tagblatt", 5. Mai 1933

Vereidigung von Eduard Dengel als Stadtrat durch Oberbürgermeister Dr. Redlhammer

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Stadtarchiv Wiesbaden, NL 35, F 70

Nachruf der Stadt Wiesbaden

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"Allgemeine Zeitung", 9. Februar

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Dr. Rolf Faber

"Wiesbadener Tagblatt", 5. Mai 1933 Vereidigung von Eduard Dengel als Stadtrat durch Oberbürgermeister Dr. Redlhammer Nachruf der Stadt Wiesbaden