LangBiografie
Hermann Kaiser
31.05.1885 – 23.01.1945
31.05.1885 – 23.01.1945
Der in Remscheid geborene Sohn des Direktors der Wiesbadener Oberrealschule und nachmaligen Schulrats am Provinzialschulkollegium in Kassel Dr. Ludwig Kaiser hatte Mathematik, Physik, Geschichte und Kunstgeschichte in Halle und Göttingen studiert. Nach seiner Rekrutenzeit in Kassel war er 1912 wieder nach Wiesbaden gegangen, um hier eine Stelle als Oberlehrer an der ehemaligen Lehranstalt seines Vaters, der späteren Oranienschule, anzutreten.
Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte der Feldartillerist, der 1914 freiwillig zu den Fahnen geeilt war, als mehrfach dekorierter Oberleutnant zurück. Die durch die Revolution 1918/19 errungene erste deutsche Demokratie wurde von dem durch und durch kaisertreuen Nationalkonservativen vehement abgelehnt. Gleiches galt für die 1919 und dann erneut 1923 unternommenen Versuche von Separatisten, Wiesbaden zum Regierungssitz einer „Rheinischen Republik“ zu machen. Den Abzug der alliierten Besatzungstruppen aus dem Rheinland im Sommer 1930 empfand Kaiser – wie die überwiegende Mehrheit der Deutschen damals auch – als das Ende einer „nationalen Schmach“.
Neben seinem Lehrerberuf standen kriegshistorische Forschungen und die
militärische Traditionspflege im Fokus seiner Interessen. Der Höhepunkt
seines Agierens in dieser Hinsicht war 1934 die Errichtung des Denkmals
für die Weltkriegsgefallenen des 1. Nassauischen
Feldartillerie-Regiments Nr. 27 Oranien auf dem Luisenplatz, für das er
sich seit Jahren mit ganzer Kraft eingesetzt hatte. Bei dessen
Einweihung hatte er zwar „die nationale Bewegung“ gewürdigt, die „den
neuen sozialen Staat der Deutschen aufzubauen im Begriff“ sei, dabei
aber Hitler, den NS-Gauleiter Jakob Sprenger und den Wiesbadener
NS-Bürgermeister Felix Piékarski unerwähnt gelassen, was zu jener Zeit
ein unglaublicher Affront war.
Kaisers schrittweise Abkehr von der NSDAP, der er im Vorjahresfrühling beigetreten war, ist durch die vom Diktator befohlene, als Niederschlagung eines angeblichen Putschversuchs Ernst Röhms verbrämte Mordaktion der SS an den Führungsspitzen der SA und anderen Hitler missliebig Gewordenen im Sommer 1934 ausgelöst worden. Diesen verbrecherischen Umtrieben sind in ganz Deutschland etwa 200 Personen zum Opfer gefallen, darunter General Kurt von Schleicher, Hitlers unmittelbarer Amtsvorgänger, der frühere Reichsorganisationsleiter der NSDAP Gregor Strasser sowie Herbert von Bose, ein jungkonservativer Widerständler, mit dessen Schwiegervater General Viktor Kühne Hermann Kaiser wegen kriegsgeschichtlicher Fragen in Kontakt stand. Auch seine Brüder Ludwig und Heinrich Kaiser, die sich beide bereits vor 1933 klar gegen Hitler positioniert hatten und später gleichfalls mehr oder minder intensiv in den Umsturzversuch des „20. Juli“ involviert gewesen sind, werden nicht ohne Einfluss gewesen sein auf seine immer deutlicher zu Tage getretene Distanzierung vom NS-Regime.
Mit Kriegsbeginn wurde der Studienrat zur Wehrmacht einberufen und schon nach einigen Monaten ins Oberkommando des Heeres (OKH) abkommandiert. Dort hatte er – Anfang 1941 zum Hauptmann befördert – das Kriegstagebuch im Stab des Chefs der Heeresrüstung und Befehlshabers des Ersatzheeres zu führen. In dieser Funktion erhielt er zwangsläufig Kenntnis von den an den Fronten und in den eroberten Gebieten verübten Verbrechen, vor allem auch vom Völkermord an den Juden. Dies alles empörte ihn zutiefst, obwohl ihm gewisse antijüdische Ressentiments durchaus nicht fremd gewesen waren.
Seit 1941 kooperierte Kaiser immer enger mit Generaloberst a. D. Ludwig
Beck und mit Dr. Carl Goerdeler, den beiden maßgeblichen zivilen
Anführern des militärisch-bürgerlich kombinierten Widerstandsflügels der
Umsturzbewegung vom „20. Juli“, sowie mit vielen anderen wichtigen
Regimegegnern. Geheime Verbindungswege führten auch zur
Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“, zu NS-Gegnern in Göttingen, in
Kassel und Wiesbaden, hier z. B. über den mit ihm befreundeten Kaufmann
Ludwig Schwenck zu einem bürgerlich-liberal geprägten Oppositionskreis
um den späteren CDU-Stadtkämmerer Heinrich Roos. Außerdem verfasste
Kaiser eine Abhandlung über „Wesen und Aufgaben der Politik“ sowie die
Denkschrift „Gedanken über Reformen des Erziehungs- und Bildungswesens“
und einen Aufruf an die Wehrmacht, der bei Gelingen des Umsturzvorhabens
über den Rundfunk und durch die Presse hätte bekannt gegeben werden
sollen.
Im Auftrag Goerdelers sollte Kaiser sogar die weiteren Verhandlungen mit den an der Verschwörung ebenfalls beteiligten Anführern des sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Widerstandes führen, und zwar mit dem einstigen Reichstagsabgeordneten Dr. Julius Leber und dem Gewerkschaftsführer Wilhelm Leuschner, vordem Innenminister des Volksstaates Hessen. Diese hatten gegenüber ihren konservativen Bündnispartnern sicherlich keine Einwände vorzubringen gegen eine Ernennung Kaisers zum Staatssekretär in einem nach dem Umsturz neu zu schaffenden Kultusministerium entweder mit dem vormaligen Zentrumspolitiker und württembergischen Staatspräsidenten Dr. h. c. Eugen Bolz oder besser noch mit ihrem eigenen Parteigenossen Prof. Dr. Adolf Reichwein an der Spitze.
Die Gründe, die für das Hitler-Attentat durch Oberst Claus Graf Schenk
von Stauffenberg und den daran gekoppelten Umsturzversuch sprachen,
hatte sich der Mittelsmann zwischen den militärischen und zivilen
Widerstandskräften in seinem privaten Tagebuch notiert, darunter das
„Vermeiden weiterer Blutopfer“, die „Mitwirkung“ an der „Vorbereitung
und Gestaltung des Friedens“ mit dem Ziel der Bewahrung der
Reichsgrenzen, die „Selbstabrechnung mit Verbrechern im Volk“ sowie die
Bildung einer „freien Regierung mit eigener selbstgewählter Verfassung“.
Die herausragende Stellung Kaisers innerhalb der Verschwörung zeigte
sich schließlich auch daran, dass er am 20. Juli 1944 per Fernschreiben
aus der Umsturzzentrale in Berlin an den Wehrkreis XII Wiesbaden sofort
herangezogen werden sollte, um dann hier als Verbindungsoffizier für die
erforderliche wechselseitige Unterrichtung der einzelnen Kommandoebenen
zu sorgen.
Hermann Kaiser wurde am 21. Juli 1944 zusammen mit seinen beiden Brüdern
nach einer Familienfeier in Kassel verhaftet. Während der folgenden
Verhöre wurden sie zum Teil schwer gefoltert. Hermann Kaiser wurde am
17. Januar 1945 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 23.
Januar in der Berliner Strafanstalt Plötzensee hingerichtet.
In Wiesbaden erinnern an ihn eine Gedenktafel vor dem Haupteingang der
Oranienschule und eine weitere im Aufgang zur dortigen Aula im 2. Stock
des Hauptgebäudes, desgleichen eine Zusatztafel am Denkmal des 1.
Nassauischen Feldartillerie-Regiments Nr. 27 Oranien auf dem Luisenplatz
sowie eine nach ihm benannte Straße im Stadtteil Klarenthal. Des
Weiteren hat der Förderkreis der Oranienschule anlässlich ihres
150-jährigen Bestehens 2007 einen alljährlich zu vergebenen, mit jeweils
maximal 1.000,– € ausgestatteten und auf zehn Jahre festgeschriebenen
Hermann-Kaiser-Förderpreis für herausragende schulische Leistungen und
soziales Engagement ausgesetzt, wobei „ebenfalls Aktivitäten“ einbezogen
werden sollten, „die sich mit der Zeit Hermann Kaisers
auseinandersetzen“.
Dr. Rolf Faber
Abb 1.jpg
Hermann Kaiser
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 206
Abb 2.jpg
Hermann Kaiser bei der Einweihung des Denkmals für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen des 1. Nassauischen Feldartillerie-Regiments Nr. 27 Oranien auf dem Luisenplatz am 21. Oktober 1934
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 206
Abb 3.jpg
Brief Kaisers an einen hiesigen Freund mit versteckten Hinweisen auf die Umsturzvorbereitungen
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 51, Nr. 12
Abb 4.jpg
Fernschreiben von Generaloberst Erich Hoepner an den Wehrkreis XII Wiesbaden zur sofortigen Heranziehung u. a. von Hermann Kaiser als dortiger Verbindungsoffizier der Verschwörer während des Umsturzversuchs
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 206
Abb 5.jpg
Vor dem „Volksgerichtshof“ am 17. Januar 1945
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 206
Abb 6.jpg
Gedenktafel vor der Wiesbadener Oranienschule
Dr. Axel Ulrich, Wiesbaden