LangBiografie
Georg Feller
30.01.1906 – 12.12.1993
30.01.1906 – 12.12.1993
Der in Darmstadt geborene Sohn eines mit seiner Familie dann nach
Wiesbaden gezogenen Messerschmieds arbeitete hier nach seiner Lehre
zunächst als Kaufmännischer Angestellter in einer Kohlengroßhandlung. Im
Februar 1925 war er Mitgründer des hiesigen Ortsvereins des
überparteilichen, doch sozialdemokratisch dominierten Reichsbanners
Schwarz-Rot-Gold. 1926 trat er, auch Mitglied damals des
Zentralverbandes der Angestellten, der SPD bei. In den nächsten,
mehrfach von Arbeitslosigkeit geprägten Jahren war Feller an vielen, zum
Teil recht heftigen Auseinandersetzungen des Reichsbanners mit Anhängern
der immer mehr erstarkenden NSDAP beteiligt. 1929 wurde er nach im
Vorjahr erfolgten Zusammenstößen mit der SA wegen Landfriedensbruchs zu
einer dreimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Noch Ende 1932 hat er, nun als Schriftführer Vorstandsmitglied des
Wiesbadener Reichsbanners, wenngleich vergeblich versucht, eine
ausreichende Bewaffnung für den von ihm und seinen Kameraden erwarteten
Ernstfall zu besorgen. Auch hatte er Anfang Februar 1933 eine
Fahrradstafette nach Frankfurt organisiert, um verbandsinterne
Nachrichten mit dem dortigen Gauvorstand gefahrlos und rasch austauschen
zu können. Angesichts des kurz bevorstehenden Verbots jener
paramilitärischen prorepublikanischen Organisation wurde deren
Wiesbadener Ortsverein, dem seinerzeit etwa 180 Aktive angehört haben,
von Feller als letztem, kommissarischen Vorsitzenden im Mai 1933
aufgelöst. Dabei hat er seine Gesinnungsfreunde angewiesen, alle
womöglich politisch belastenden Materialien zu vernichten und in ihrem
Besitz befindliche Schusswaffen unbedingt außerhalb ihrer Wohnungen zu
verstecken. Feller selbst sorgte überdies dafür, dass die Fahne des
Ortsvereins auf dem Speicher seiner Schwester in der Schiersteiner
Straße sicher verwahrt wurde.
Wenngleich jetzt anfänglich kein organisatorischer Kontakt mehr zwischen den Wiesbadener Reichsbanner-Mitgliedern bestand, so tauschten sich doch recht viele von ihnen in der nächsten Zeit wenigstens noch über die politische Lage aus. Eine Verbindung mit kommunistischen Widerständlern wurde von ihnen wegen der unüberbrückbaren ideologischen Gegensätze und aufgrund des dabei verstärkt drohenden Verhaftungsrisikos kategorisch abgelehnt. Aber selbst mit vielen politisch Gleichgesinnten wurde aus Sicherheitsgründen ein näherer Umgang bald zunehmend gescheut.
Nachdem Feller im Frühjahr 1934 vom vormaligen Sekretär des Reichsbanner-Gaus Hessen-Nassau, dem Frankfurter Paul Apel angeworben worden war, organisierte er zusammen mit dem im Jahr zuvor aus politischen Gründen von der Stadt entlassenen Albert Markloff als seinem Stellvertreter die illegale Arbeit des Reichsbanners in Wiesbaden. Apels Widerstandsstruktur verfügte über Stützpunkte im gesamten Rhein-Main-Gebiet. Durch seine in Bezirke gegliederte Organisation sollten lokale Kerngruppen zuverlässiger Mitstreiter zusammengehalten und beständig politisch qualifiziert werden, um mit diesen nach dem ersehnten Zusammenbruch des faschistischen Regimes die demokratische Wiederaufbauarbeit umgehend in Angriff nehmen zu können.
Fortan wurde über Peter Hück in Mainz-Kastel antinazistisches Propagandamaterial nach Wiesbaden geliefert, insbesondere das in der Tschechoslowakei vom dorthin ins Exil ausgewichenen SPD-Vorstand herausgegebene Periodikum „Sozialistische Aktion“. Da dessen Bezieher ihr Exemplar, für das ein geringer Betrag zur Unterstützung der Untergrundarbeit zu entrichten war, nach der Lektüre weiterzugeben hatten, konnte so ein Leserkreis erreicht werden, der nach Fellers rückblickender Schätzung bis zu 50 Personen umfasste. Dabei wussten letztlich weder er selbst noch Markloff und auch nicht ihr knappes Dutzend Unterverteiler, wer sonst noch alles beliefert worden ist. Die definitiv letzten Bezieher hatten jedenfalls ihr Exemplar nach der Lektüre sicherheitshalber zu vernichten.
Außerdem fertigten Feller, Markloff und manche ihrer Kameraden bestimmte
Berichte an, etwa zur fortschreitenden militärischen Aufrüstung wie
überhaupt zu den lokalen Verhältnissen nach der NS-Machtübernahme in
unserer Stadt. Diese wurden über Hück nach Frankfurt zu Apel geleitet,
der das Material dann wiederum auf konspirativen Wegen nach Prag sandte.
Dort wurden die Berichte ausgewertet, wonach sie verschiedentlich sogar
Eingang fanden in die zur Aufklärung des Auslandes wie zur
antinazistischen Inlandsagitation hergestellten Publikationen der SPD.
Nachdem Paul Kirchhof, ein enger Mitstreiter Apels, im Juni 1935 auf einer Kurierfahrt mit seinem Motorrad in Richtung Wiesbaden seine Aktentasche mit den zur Weiterverbreitung vorgesehenen Exemplaren der „Sozialistischen Aktion“ verloren hatte, konnte die Frankfurter Gestapo die Spur aufnehmen, die auch hierher führte. Kirchhof hatte nämlich weisungswidrig die für die einzelnen Städte und Gemeinden in unserer Region bestimmten Kuverts mit Ortskürzeln versehen, was den faschistischen Fahndern die Ermittlungsarbeit erheblich erleichterte. In zwei großen, gegen die SPD- und Reichsbanner-Konspiration im Rhein-Main-Gebiet gerichteten Verhaftungswellen wurden bis 1936 über 120 NS-Gegner verhaftet.
Feller und Markloff, die während der Verhöre in Frankfurt nicht nur körperlichen, sondern auch seelischen Folterungen ausgesetzt waren, haben dabei trotzdem keinen der von ihnen mit der SPD-Zeitung Belieferten verraten. Anfang 1936 wurde Feller vom Oberlandesgericht Kassel zu einer Zuchthausstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, während Markloff eine ebensolche Strafe in Höhe von zwei Jahren erhielt.
Nach der Strafverbüßung in Butzbach wurde Feller 1938 ins KZ Buchenwald
überstellt, aus dem er erst Mitte 1940 wieder freikam. Anfang 1943 wurde
er zum Strafbataillon 999 einberufen, wonach er bis zum Kriegsende als
Funker auf Rhodos stationiert war. Dort beteiligte er sich abermals an
Widerstandsaktivitäten.
Aus der britischen Kriegsgefangenschaft kehrte Feller Anfang 1947 zurück und wurde nun im Wirtschafts- und Ernährungsamt der Stadt angestellt, wo er sich bis 1950 als Vorsitzender des Betriebsrats engagierte. Bis zum Jahr darauf leitete er zudem die Kriegsgefangenen- und Heimkehrer-Betreuungsstelle der hiesigen SPD. Von 1950 bis 1960 wirkte er u. a. als Gewerkschaftssekretär, Geschäftsführer und 1. Vorsitzender der Kreisverwaltung Wiesbaden der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, ferner seit 1952 als Stadtverordneter und ab 1956 als ehrenamtlicher Stadtrat. Von 1960 bis 1971 war er hauptamtlicher Stadtrat.
Ein besonderes Anliegen war ihm das Wachhalten der Erinnerung an Verfolgung und Widerstand während der NS-Gewaltherrschaft. Für seinen unentwegten, nicht zuletzt auch ehrenamtlichen Einsatz für unsere Demokratie wurde Georg Feller 1984 mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen ausgezeichnet. Zwei Jahre darauf ist er zum Stadtältesten der hessischen Landeshauptstadt ernannt worden. Zuvor waren ihm bereits die Plakette der Landeshauptstadt Wiesbaden in Gold und die Bürgermedaille in Gold verliehen worden.
Dr. Axel Ulrich
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Georg Feller
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 1091
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Das Original der Wiesbadener Reichsbanner-Fahne befindet sich heute in der Dauerausstellung unseres Stadtmuseums am Markt.
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 37, Nr. 47
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Antinazistische Agitationsfahrt nach Geisenheim
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 37, Nr. 86
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Paramilitärische Übung auf der Platte, etwa 1932
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 37, Nr. 86
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Im Exil für die konspirative Inlandsarbeit hergestelltes Parteiorgan der SPD
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 3396
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Als Angehöriger der „Bewährungsdivision 999“ auf Rhodos, etwa 1944
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 37, Nr. 86